Methode



Vorgehensweise und Evaluation

Kurzeinführung


„Kultur trotzt Demenz“ ist ein Bildungsangebot im Rahmen von lebenslangem Lernen. Auf Basis der Methode "TimeSlips" ermöglichen unsere Angebote kulturelle Bildung und Teilhabe für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Die Sitzungen sollen bei laufendem Betrieb und in der Öffnungszeit des Museums durchgeführt werden. Insofern ist eine Interaktion mit anderen Museumsbesuchern ausdrücklich vorgesehen. Die Methode animiert die Teilnehmenden dazu, das Kunstwerk auch mal anders zu sehen und sich auszutauschen.

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Nach jeder Sitzung im Museum ist ein Erzählcafé vorgesehen, welches das persönliche Kennenlernen und das Weiterspinnen eines thematischen, biografischen Fadens möglich macht. Für die Angehörigen und das Pflegepersonal kommt es häufig hinzu, dass sie die Teilnehmer in ihren Ressourcen wahrnehmen können. Diese Erfahrungen bringen eine neue Leichtigkeit für die pflegenden Angehörigen oder das Pflegepersonal in Einrichtungen mit sich. Das wirkt sich positiv auf die Stimmung aller nieder und hält lange vor. Das zeigen unsere Rückmeldungen.

Elemente und Arbeitsweise


Man trifft sich der Gruppe und gemeinsam wird zu einem Gemälde spontan eine Geschichte erfunden, erzählt und aufgeschrieben. Was eher scheinbar zufällig entsteht, ist jedoch das Ergebnis eines gezielten, strukturierten Vorgehens. Eine qualifizierte Moderatorin gestaltet und lenkt den Erzählprozess. Sie stellt anhand eines eigens entwickelten Leitfadens offene Fragen und orientiert sich dabei an den Beiträgen der Teilnehmer. Die Gesprächshaltung, die sie einnimmt, ist non-direktiv, Gesprächsbeiträge werden impulsgebend widergespiegelt und nicht bewertet. Alles ist wichtig und alles richtig.

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Ein Schreiber notiert alles wortwörtlich. Dabei kann eine strukturelle Vorlage helfen. Ab und zu fasst er das bisher Gesagte zusammen und trägt es vor. Am Ende wird gemeinsam ein Titel gefunden und der Schreiber trägt die Geschichte samt Titel noch einmal lebendig vor. Beim nächsten Treffen wird die Geschichte gleich zu Beginn vorgetragen. Es dient der Erinnerung und Motivation der Teilnehmer. In der zweiten Reihe auf Lücke sitzen immer zwischen zwei Teilnehmern Helfer – die sogenannten Echoer. Sie wiederholen Gesagtes noch einmal oder tragen zu leise Gesagtes vor. Auch Gesten oder Stimmungen werden beobachtet und mit in die Geschichte eingeflochten. Ein Protokollant zählt die Beiträge der Teilnehmer und notiert die Moderationsfragen sowie seine Beobachtungen. Diese Arbeit kann auch auf mehrere Helfer aufgeteilt werden. „Kultur trotzt Demenz“ ist eine ressourcenorientierte Methode. Werden im Alltag unserer Teilnehmenden häufig ihre Defizite und Einschränkungen deutlich, so kommen hier die Ressourcen wie Kreativität, emotionale Spontanität und Lebenserfahrungen wieder zu Tage. Das geschieht in einem spielerischen Umgang mit Sprache, Stimme und Bewegung eingebettet in ein wertungsfrei gestaltetes Handlungsfeld. Freude und spontane Lust am Experimentieren stehen im Vordergrund. Die Methode spricht mit ihrer positiven Sicht auf die Menschen in ganz besonderer Weise direkt die Fantasie und die Sinne der Menschen an. Es wird kein Faktenwissen erwartet. Bei unseren Treffen haben die Teilnehmenden alle Freiheit, sich etwas auszudenken und dies unmittelbar in Rede, Mimik und Gestik auszudrücken.

Voraussetzungen


Voraussetzungen: Gemäldegalerien und Kunstmuseen sind ideale Orte, um sich zum Geschichtenerfinden zu treffen. Auch zuhause oder in sozialen Einrichtungen kann man mit der Methode arbeiten. Hierzu vergrößert man sich Postkarten oder Fotografien von Gemälden auf A 4 Format, so dass jeder Teilnehmer und Mitarbeiter ein Exemplar in der Hand halten kann. Erfolge können erzielt werden, wenn sich eine beständige Gruppe mit 6–12 Teilnehmern über einen längeren Zeitraum regelmäßig einmal pro Woche trifft. Der Ablauf sollte gleichbleibend eingehalten werden mit einer erkennbaren Struktur. Gewachsene Beziehungen untereinander und eine möglichst hohe Mitbestimmung ermöglichen eine gute Atmosphäre, in der mehrere Generationen gemeinsam lernen.

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Umfeld und Setting sollten den Teilnehmern gefallen. Wichtig ist eine wertschätzende persönliche Ansprache aller und eine gut bedachte Zusammensetzung der Teilnehmer. Natürlich sollte das Museum über genügend große Gemälde verfügen und das Haus muss barrierefrei erreichbar sein, ebenso wie das nahegelegene Café für die abschließende Erzählrunde mit Kaffee und Kuchen.

Wirkweise auf die Teilnehmer


Schaut man sich unsere Erfahrungen an, so decken sie sich mit Forschungsergebnissen aus den USA. Bei einer Studie zur TimeSlips-Methode, die in Pennsylvania durchgeführt wurde, gab es für Personen mit diagnostizierter Demenz über einen Zeitraum von 6 Wochen zweimal pro Woche eine Stunde Geschichtenerzählen nach der TimeSlips-Methode. Eine Kontrollgruppe erhielt Angebote wie Gedächtnistraining, Gymnastik etc. Für die Teilnehmer der TimeSlips-Gruppe konnte festgestellt werden, dass die Kreativität wiederbelebt wurde und wuchs, dass sich die Lebensqualität steigerte, dass das Gesamtverhalten sich verbesserte und sie ausgeglichener waren. Die Teilnehmer fühlten sich gut, weil sie in sehr ansprechende Aktivitäten involviert waren.

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Weiter konnte man beobachten, dass die Teilnehmer sich auf das Angebot freuten, dass sie emotional aktiv beteiligt waren, weniger Stimmungsschwankungen hatten und in diesen Wochen kaum Schmerz- u. Einschlafmedikamente benötigten. Außerdem zeigte sich, dass die Teilnehmer sich in den Gruppen mehr ansprachen oder grüßten und sich verbal oder nonverbal spontan dazu äußerten. All das oben Geschilderte konnten wir in Deutschland seit 2017 auch feststellen. Uns wurde zusätzlich noch zurückgemeldet, dass die TN auch außerhalb der Massnahme offener wurden und auch andere Bewohner grüßten oder sie ansprachen.

Wirkweise auf die Mitarbeitenden


Wirkweise auf die Mitarbeitenden Wir Teammitglieder waren immer wieder erstaunt und erfreut zu beobachten, wie sich die Fähigkeiten und die Lebensfreude der Teilnehmer im Verlauf der Museumsbesuche verbesserten. Übrigens findet das Lernen bei „Kultur trotzt Demenz“ in beiden Richtungen und über drei Generationen statt. So sind wir über ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert auf das Wissen über alte Reifröcke und Krinolinen gestoßen, ein Kleidungsstil, über den nur unsere Teilnehmer noch wussten. Auch verschiedenste Bezeichnungen von Stoffen wie Musselin lernten wir kennen oder Legierungen wie Kaiserzinn. Dieses gegenseitige Lernen macht Spaß und ist spontan. An unseren Gruppen nahmen immer wieder auch Auszubildende der Altenpflege teil.

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Die Treffen von „Kultur trotzt Demenz“ halfen ihnen, Unsicherheit im Umgang mit dementiell Erkrankten abzubauen, deren Ressourcen neu zu sehen und das große Wissen der Teilnehmenden wahrzunehmen. Sie wollten bei allen Treffen dabei sein, um nichts zu verpassen und freuten sich über „unglaublich wertvolle Gespräche“ und das generationenübergreifende Lernen. Die Synergien waren am größten, wenn die Auszubildenden in der Einrichtung arbeiteten, wo auch die Teilnehmer wohnten. So berichteten sie über gewachsene persönliche Bindungen zu den Teilnehmern und eine unterschiedliche Wahrnehmung von sich selbst und den Teilnehmenden in Pflege und Freizeit. Auch Studierende zählten zum Team, die meisten ohne Vorerfahrungen in der Sozialen Arbeit mit Senioren und im Umgang mit Menschen mit Demenz. Sie konnten rundum positive Erfahrungen mit den Teilnehmern machen und schlossen sie sehr ins Herz. Die Studierenden erhielten Wissen über die verschiedenen Formen von Demenz und unterschiedlichen Formen von Begleitung und Pflege. Eine Studierende beschloss, sich nach ihrem Studium bei Senioreneinrichtungen zu bewerben. Sie hatte ihre Liebe zur Arbeit mit älteren Personen entdeckt. Wir stellen fest, dass die Teilnehmer immer freier in den Assoziationen werden, vor allem je älter das Gemälde ist. Da verlässt der Geist die Erfahrungswelt und greift auf die Phantasie zu.

Biografiearbeit


Biografiearbeit ist eine strukturierte Form zur Selbstreflexion der eigenen Lebensgeschichte in einem professionellen Setting. Die Reflexion einer biografischen Vergangenheit dient ihrem Verständnis in der Gegenwart und einer möglichen Gestaltung der Zukunft (Ingrid Miethe). Kurz gesagt: Biografiearbeit ist die Einbeziehung der Vergangenheit in die augenblickliche Gegenwart und mögliche Zukunftsplanung. Biografische Arbeit findet indirekt während der „Kultur-trotzt-Demenz“-Sitzung anhand biografischer Assoziationen statt, die beim Geschichtenerfinden zu Tage treten.

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Die Selbstreflexion und die Mitteilung von Wünschen, Sehnsüchten oder momentanen Emotionen in einem professionellen Rahmen erfolgten im Anschluss an die Sitzung im Café. Diese gezielte Selbstreflexion und das gegenseitige Lernen anhand bestimmter Themen sind sehr kreativ und erfüllend. Sie schaffen, wie auch sonst bei der Biografiearbeit, eine bestimmte Tiefung. Diese führt zu Wohlbehagen und Verbundenheit und einem Gefühl von Eingebettet-Sein.

Erzählcafés


Erzählcafès sind Teil der Biografiearbeit. Es gibt sie schon über zwanzig Jahre in Deutschland. Inhaltlich ging und geht es um Begegnung, Austausch und Lernen zwischen den Generationen, wie z.B. in Geschichtswerkstätten oder in Oral-History-Werkstätten. Mittels dieser Methode der Sozialen Arbeit nähern wir uns z. B. individuellen Sinnmustern und Lebenswelten von einzelnen Personen oder Kleingruppen (vgl. Haupert, Mauer, Schilling). Die Biografiearbeit zielt auf die individuelle Neubewertung der eigenen Lebensgeschichte und auf die Entschlüsselung von Ressourcen, auf neue Haltungen in der Begegnung mit anderen Menschen.

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Vorgesehen für diesen Austausch nach dem Geschichtenerfinden war ein Bistro in der Nähe. Im Erzählcafé sprachen wir über Themen wie: Meine Taufe, Familienfeste, meine Konfirmation, Übergang zum Erwachsenenleben, meine erste Liebe, Heiratsantrag, Wintervorbereitung, was macht mich reich? Geld, Fähigkeiten, innerer Reichtum, Reisen? Leben in der Herkunftsfamilie, Eifersucht, Erinnerungen an große Feste, Rolle der Musik im Leben, Rituale und Familientraditionen, andere Länder – andere Sitten, Wohnorte in meinem Leben, Lebensumstände, Umzüge, Lebensräume, die Wende.

Fazit


Geschichtenerfinden mit Erzählcafes eignen sich hervorragend für Menschen mit dementieller Einschränkung. Museen wie das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig sind mit ihrer Gemäldegalerie ein perfekter Ort dafür. Eine Teamverteilung mit unterschiedlichen Rollen des Moderators, des Schreibers, des Protokollanten und der Echoer hat sich bewährt. Wenn Menschen mit dementiellen Einschränkungen regelmäßig über ein halbes Jahr am wöchentlichen Geschichtenerfinden teilnehmen, ist eine aktivierende Wirkung deutlich und nachhaltig zu beobachten. Geschichtenerfinden und Biografiearbeit ergänzen sich sinnhaft und vertiefen den Gruppenprozess.

+49 (0) 5307 95 15 50


E-Mail: info@kultur-trotzt-demenz.de