Methode
Vorgehensweise und Evaluation
Kurzeinführung
„Kultur trotzt Demenz“ ist ein Bildungsangebot im Rahmen von lebenslangem Lernen. Auf Basis der Methode "TimeSlips" ermöglichen unsere Angebote kulturelle Bildung und Teilhabe für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Die Sitzungen sollen bei laufendem Betrieb und in der Öffnungszeit des Museums durchgeführt werden. Insofern ist eine Interaktion mit anderen Museumsbesuchern ausdrücklich vorgesehen. Die Methode animiert die Teilnehmenden dazu, das Kunstwerk auch mal anders zu sehen und sich auszutauschen.
Elemente und Arbeitsweise
Man trifft sich der Gruppe und gemeinsam wird zu einem Gemälde spontan eine Geschichte erfunden, erzählt und aufgeschrieben. Was eher scheinbar zufällig entsteht, ist jedoch das Ergebnis eines gezielten, strukturierten Vorgehens. Eine qualifizierte Moderatorin gestaltet und lenkt den Erzählprozess. Sie stellt anhand eines eigens entwickelten Leitfadens offene Fragen und orientiert sich dabei an den Beiträgen der Teilnehmer. Die Gesprächshaltung, die sie einnimmt, ist non-direktiv, Gesprächsbeiträge werden impulsgebend widergespiegelt und nicht bewertet. Alles ist wichtig und alles richtig.
Voraussetzungen
Voraussetzungen: Gemäldegalerien und Kunstmuseen sind ideale Orte, um sich zum Geschichtenerfinden zu treffen. Auch zuhause oder in sozialen Einrichtungen kann man mit der Methode arbeiten. Hierzu vergrößert man sich Postkarten oder Fotografien von Gemälden auf A 4 Format, so dass jeder Teilnehmer und Mitarbeiter ein Exemplar in der Hand halten kann. Erfolge können erzielt werden, wenn sich eine beständige Gruppe mit 6–12 Teilnehmern über einen längeren Zeitraum regelmäßig einmal pro Woche trifft. Der Ablauf sollte gleichbleibend eingehalten werden mit einer erkennbaren Struktur. Gewachsene Beziehungen untereinander und eine möglichst hohe Mitbestimmung ermöglichen eine gute Atmosphäre, in der mehrere Generationen gemeinsam lernen.
Wirkweise auf die Teilnehmer
Schaut man sich unsere Erfahrungen an, so decken sie sich mit Forschungsergebnissen aus den USA. Bei einer Studie zur TimeSlips-Methode, die in Pennsylvania durchgeführt wurde, gab es für Personen mit diagnostizierter Demenz über einen Zeitraum von 6 Wochen zweimal pro Woche eine Stunde Geschichtenerzählen nach der TimeSlips-Methode. Eine Kontrollgruppe erhielt Angebote wie Gedächtnistraining, Gymnastik etc. Für die Teilnehmer der TimeSlips-Gruppe konnte festgestellt werden, dass die Kreativität wiederbelebt wurde und wuchs, dass sich die Lebensqualität steigerte, dass das Gesamtverhalten sich verbesserte und sie ausgeglichener waren. Die Teilnehmer fühlten sich gut, weil sie in sehr ansprechende Aktivitäten involviert waren.
Wirkweise auf die Mitarbeitenden
Wirkweise auf die Mitarbeitenden Wir Teammitglieder waren immer wieder erstaunt und erfreut zu beobachten, wie sich die Fähigkeiten und die Lebensfreude der Teilnehmer im Verlauf der Museumsbesuche verbesserten. Übrigens findet das Lernen bei „Kultur trotzt Demenz“ in beiden Richtungen und über drei Generationen statt. So sind wir über ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert auf das Wissen über alte Reifröcke und Krinolinen gestoßen, ein Kleidungsstil, über den nur unsere Teilnehmer noch wussten. Auch verschiedenste Bezeichnungen von Stoffen wie Musselin lernten wir kennen oder Legierungen wie Kaiserzinn. Dieses gegenseitige Lernen macht Spaß und ist spontan. An unseren Gruppen nahmen immer wieder auch Auszubildende der Altenpflege teil.
Biografiearbeit
Biografiearbeit ist eine strukturierte Form zur Selbstreflexion der eigenen Lebensgeschichte in einem professionellen Setting. Die Reflexion einer biografischen Vergangenheit dient ihrem Verständnis in der Gegenwart und einer möglichen Gestaltung der Zukunft (Ingrid Miethe). Kurz gesagt: Biografiearbeit ist die Einbeziehung der Vergangenheit in die augenblickliche Gegenwart und mögliche Zukunftsplanung. Biografische Arbeit findet indirekt während der „Kultur-trotzt-Demenz“-Sitzung anhand biografischer Assoziationen statt, die beim Geschichtenerfinden zu Tage treten.
Erzählcafés
Erzählcafès sind Teil der Biografiearbeit. Es gibt sie schon über zwanzig Jahre in Deutschland. Inhaltlich ging und geht es um Begegnung, Austausch und Lernen zwischen den Generationen, wie z.B. in Geschichtswerkstätten oder in Oral-History-Werkstätten. Mittels dieser Methode der Sozialen Arbeit nähern wir uns z. B. individuellen Sinnmustern und Lebenswelten von einzelnen Personen oder Kleingruppen (vgl. Haupert, Mauer, Schilling). Die Biografiearbeit zielt auf die individuelle Neubewertung der eigenen Lebensgeschichte und auf die Entschlüsselung von Ressourcen, auf neue Haltungen in der Begegnung mit anderen Menschen.
Fazit
Geschichtenerfinden mit Erzählcafes eignen sich hervorragend für Menschen mit dementieller Einschränkung. Museen wie das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig sind mit ihrer Gemäldegalerie ein perfekter Ort dafür. Eine Teamverteilung mit unterschiedlichen Rollen des Moderators, des Schreibers, des Protokollanten und der Echoer hat sich bewährt. Wenn Menschen mit dementiellen Einschränkungen regelmäßig über ein halbes Jahr am wöchentlichen Geschichtenerfinden teilnehmen, ist eine aktivierende Wirkung deutlich und nachhaltig zu beobachten. Geschichtenerfinden und Biografiearbeit ergänzen sich sinnhaft und vertiefen den Gruppenprozess.
Initiative „Kultur trotzt Demenz“
Am Kuhlacker 4
38110 Braunschweig
Deutschland